Hast Du wirklich mal Dir das breite Angebot in der ARD Audiothek und bei ARD Kultur angesehen?
Ganz ehrlich: nein.
Einen Teil der Antwort lieferst Du gleich selbst:
Nach meiner Erfahrung im persönlichen Umfeld (ja, das ist nicht repräsentativ) ist es eher so, dass die meisten gar nicht wissen, wie viele unzählige hochwertige Angebote in Audiothek/Mediathek und Kulturportal vorhanden sind. Tatsächlich, weil die Suchfunktion einfach großer Mist ist!
Ein zweiter Teil der Antwort ist auf mich bezogen, ganz individuell: ich mag lineares Radio. Ich hör(t)e mir auch noch Aufzeichnungen davon an und habe sogar ein kleines Archiv mit Aufzeichnungen, die mir etwas bedeuten, etliche Features, Reportagen, wenige Hörspiele, manche Musiksendungen. Die höre ich natürlich dann normalerweise für Jahre / Jahrzehnte kein zweites mal. Die habe ich so auf Festplatte, wie andere Menschen Bücher im Regal haben. Bei meinen Eltern stehen tausende Bücher, da kann ich den Rest meines Lebens lang lesen, ich selbst habe deshalb nur recht wenig Bücher angehäuft in meiner Wohnung, meine Bibliothek steht im Elternhaus und ich habe mir oft anhören müssen, ich solle das doch endlich mal ins Altpapier geben, weil sowas unzeitgemäß sei.
Womit ich - unabhängig von der ARD - wenig anfangen kann, sind reine Podcasts, also nie linear gesendetes Zeugs. Da steckt sicher auch eine psychologische Komponente drin, für mich ist das einfach kein Radio. Es ist Online - und da kann ich, wenn ich sowieso schon vor dem Rechner sitze, auch andere Formen nutzen, z.B. Video. Ich "folge" (ohne in irgendeiner Plattform angemeldet zu sein, ich schaue nur halt jeden Tag einmal auf diesem Kanal vorbei) z.B. aus Gründen, die ich selbst nicht wirklich nachvollziehen kann, einem Mann etwa meines Alters, der in einem sehr südlich gelegenen EU-Staat etwas macht, was ich großartig finde, ohne eigentlich auch nur das kleinste bißchen Bezug dazu zu haben.
Hinzu kommt, dass ich mit reinen Online-Produktionen oft aufgrund ihrer offenbar "modernen" Gestaltung nichts anfangen kann. Schon normale Podcasts nerven mich oft aufgrund der unangenehmen Stimmen und der Zerfaserung, also aufgrund des Fehlens eines roten Fadens, der bei einem Hörfunk-Feature in meinetwegen 55 Minuten sicher zum Ziel führt. Bei Podcasts habe ich immer den "Vorspul-Drang". Das wiederum erzeugt psychischen Stress.
Hinzu kommt, dass ich bei meinen wenigen Versuchen, auch nur eine lineare Sendung nachzuhören, auf so viel technisch-qualitativen Müll kam, dass meine Lust schnell vergangen ist.
Entweder das Musikspecial wird als 128er MP3 in grausig vermatschter Audioqualität angeboten und kommt dann, seitdem diese Sendeschiene aus dem "richtigen" Radio (in diesem Fall sagen wir mal NDR Info) verbannt wurde auf die digitale Resterampe (NDR Blue), offenbar auch nicht mehr aus einem Hörfunkstudio, sondern aus Homerecording. Entsprechend ist die Sprache kaputt, verhallt, verrauscht, was auch immer.
Oder es passieren so Sachen wie beim MDR, der lange Zeit seine Nachhör-Files (Features etc.) knallhart auf -15 LUFS gepegelt hat, wodurch sie dann halt einige dB geclippt waren, was man auch gut hören kann und was ätzend ist.
Oder das Nachhör-File hat formal guten technischen Standard (z.B. 256 kBit/s LC-AAC), ist aber grausig verzischelt. Hatte mal so einen Fall mit einem Feature bei MDR Kultur, dessen Ursendung Jahre zuvor ich verpasst hatte, das mich aber interessierte. Es war unanhörbar verzischelt (betraf in diesem Fall, wie sich beim Sichten des Mitschnittes der linearen Zweitsendung aus der dauerhaft laufenden "DVB-Archivmaschine" herausstellte, auch die lineare Zweitsendung). Der aus dem Freundeskreis beschaffte Mitschnitt der Erstsendung von Jahre zuvor war sauber.
Dazu kommt noch meine Unlust, mich durch einen Haufen Angebote zu suchen, ohne überhaupt zu wissen, was ich suchen könnte. Im linearen (Kultur)radio wurden mir Inhalte angeboten und ich konnte entscheiden, ob ich sie nutze oder nicht. Nach etwas zu suchen, das man gar nicht kennt, ist deutlich aufwendiger. Den Kurator-Job schaffe ich nebenher nicht auch noch.
Und dann ist da noch der zutiefst psychologische Effekt, dass ich, nachdem man zahlreiche meiner "Helden" und "Heldinnen" am Mikrofon entsorgt hat, auch immer weniger Lust habe, den irgendwo im Internet vergrabenen Häppchen hinterherzubuddeln. Ich fühle mich schlicht verachtet durch die ARD und die Darbietung in irgendwelchen Online-Datenhalden empfinde ich als Demütigung. Für Inhalte gibt es - zumindest heute noch formal - die linearen Programme. Und dort kommt immer weniger.
Aber im linearen würden die gleichen Menschen die Sachen auch nicht finden. Weil sie nämlich lineares Radio nur beim Frühstück und im Auto hören und im Auto sogar oft nur ihren üblichen Podcast vom Handy abspielen.
Das war halt bei mir anders. Ich wusste 1991, wann Lutz Schramm sein "Parocktikum" macht (Donnerstag 20 Uhr) und wann Marion Brasch mit ihrer "Spätvorstellung" dran ist (genau danach), wann die von mir eher nicht gehörte Metal-Sendung kommt ("Sonntag abend kurz nach acht wird hier kröftig Krach gemacht"), wann Ronald Galenza sendet und wann Holger Luckas. Ich wusste Ende der 90er, wann Susanne Hasenjäger ihre "Hörproben" auf NDR 4 laufen hat und wann dort Paul Baskervile sendet. Dass Paul Baskerville auch bei Radio Bremen Sendungen hatte, habe ich dann eher zufällig erfahren. Wir wussten, dass Joachim Deicke am Sonntag Abend auf Bremen Eins "Pops tönende Wunderwelt" laufen hatte und manche haben das Woche für Woche mitgeschnitten - aus dem linearen Programm, auch wenn sie im Urlaub waren, dann lief halt z.B. ein VHS-Recorder mit Timer als Audioaufnahmegerät und der UKW-Tuner musste durchlaufen.
Nach einzelnen Features auf Bayern 2 schaute ich so 2011 - 2021, als ich vorrangig Bayern 2 hörte, nicht mehr vorab. Wenn ich tagsüber zu Hause war, lief Bayern 2. Wenn ich was verpasst hatte, merkte ich das beim abendlichen Blick in die Programmübersicht. Dann gab es die Features teils als 224er MP3 in noch besserer Audioqualität als es gesendet wurde (nämlich aus dem unprozessierten Audio) und ich habe auch mal erlebt, dass ein Feature länger war als 55 Minuten, die Radiofassung war gekürzt, die Nachhörfassung war ungekürzt.
Klar, verpasst habe ich beinahe unendlich viel. Aber manches schaffte halt den Weg zu mir. Heute müsste ich mich durchwühlen durch irgendwelche "Theken", ohne zu wissen, wonach ich suchen könnte.
Aber passt schon. Die Seele des Radios ist weitgehenhd getötet. Die, die heute die Weichen für den Hörfunk stellen, wissen offenbar gar nicht, dass Radio eine Seele haben kann. Die sehen nur Quoten oder Häkchen in Checkboxen auf Listen der vermeintlichen Kulturumfeld-Abdeckung. Entsprechend ist auch meine Leidenschaft für das Medium inzwischen sehr gedämpft. Und das erlebe ich auch im kleinen Radio-Bekanntenkreis: dort wird sehr genau beobachtet, was z.B. mit SWR 2 oder WDR 3 passiert und es wird kommentiert - fachlich viel begründeter als ich irgendwas noch dazu sagen könnte.