AW: Ungewollter Effekt bei 2x Großmembran
Mensch Rainer, von dir hätte ich das Hintergrundwissen aber eigentlich erwartet. Um um nicht wieder den Waver zu bemühen, hier ausladende Banflets zu pinseln, will ich das mal tun und das Mysterium des "verpolten" Mikrofonsignals etwas beleuchten.
Alle arbeiten mit Waveeditoren, die im Gegensatz zu einem Oszilloskop die hervorragende Möglichkeit bieten, "eingefrorene" Kurven zu begutachten, aber irgendwie ist da wohl noch keinem aufgefallen, dass mit einem Mic-Signal da etwas scheinbar nicht stimmt.
Nehmen wir für alle folgenden Betrachtungen den Explosivlaut P sowie Mikrofone mit Nierencharakteristik her - denn um keine anderen Typen ging es ursprünglich - und stellen zunächst die Frage, was ist eine Schallwelle?
Eine Schallwelle ist eine Druck- und Dichteschwankung innerhalb eines Mediums - in dem für uns interessanten Fall der Luft.
Was passiert, wenn ich ein P artikuliere?
Ich verschließe meine Lippen so fest, dass sie einem gewissen Überdruck im Mundraum noch standhalten und entlasse diesen durch Sprengung (frei nach Aderhold
) in das Umgebungsmedium. Es pflanzt sich also vom Ort des "freigelassenen" Überdrucks eine Welle weg vom Ursprung ihrer Entstehung. Da diese eine positive Anschwingung besitzt - schließlich beginnt sie mit einer Überdruckphase - ist sie vereinfacht für den Moment genau das, was wir im Geiste grafisch mit einer ganz normalen Sinusschwingung verbinden.
Wie höre ich ein P?
Nun, technische Wege ausgeschlossen, also im Rahmen einer normalen Unterhaltung trifft diese Welle irgendwann mein Ohr und wir erinnern uns: es ist eine Druckwelle! Was macht Überdruck mit der "Mikrofonmembran" unses Ohres, dem Trommelfell? Richtig, eindrücken!
Unser Gehirn verfügt über hervorragende Mechanismen, die Regeln der Physik durch geschicktes "Umrechnen" konsequent auszuhebeln. Wir hören also die Druckwelle genau so positiv, wie sie ist, obwohl ihre Wirkung eine Negative ist.
Ähnliches passiert übrigens auch in unserem Sehzentrum, oder leidet jemand darunter, dass die Linse im Auge ein gedrehtes Bild auf die Netzhaut wirft?
Wie hört ein Mikrofon ein P?
Na genauso, wie unser Ohr, nur fehlt dem Mikrofon eine Umdenkmimik. Die Druckwelle trifft auf die Membran und drückt sie ein. Das ist aus Sicht des Mikrofons eine negative Membanbewegung und es antwortet physikalisch korrekt mit einer negativ initiierten Schwingung am elektrischen Ausgang.
Beim Kondensatormikrofon ist der Vorgang zwar an einen Part in der Kausalitätkette verändet (da frei von Magnetismus, auch keine Lenz'schen Gesetze) erweitet, das Ergebnis ist trotzdem das Gleiche: Die Annäherung der Membran an den Stator (Kapselboden) erhöht die Kapazität des Kondensators, der daraufhin etwas Phantomspeisung zu sich nimmt und die Spannung über sich abfallen lässt. Also wieder eine negativ initiierte, elektrische Schwingung als Antwort des Wandlers.
Warum also gehörrichtig umpolen?
Es liegt auf der Hand, dass eine korrekt arbeitende Wiedergabeanlage mit polrichtig angeschlossenen Lautsprechern versuchen wird, ihren Möglichkeiten entsprechend das an den Mann bzw. dessen Ohren zu bringen, was sie wiederzugeben hat. Dies bedeutet auch und vor allem, dass eine positive Halbwelle auch als solche reproduziert wird, was normalerweise immer der Fall ist, denn auf das Anlegen einer positiven Spannung reagiert jeder Lautsprecher mit Membranvorschub, erzeugt also seinerseits richtiger Weise eine Druckwelle, wie unser Ohr sie erwartet, wenn es so sein soll.
Als Sprecher habe ich ein ureigenes Interesse, richtig verstanden zu werden und das fängt bei mir mit der Lage des Signals an, dass meine Technik in Richtung Hörer verlässt
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Und nochmal zum Thema Raumschall: Der Threadersteller schrieb ausdrücklich von 2 räumlich deutlich abgesetzten Mikrofonen mit Nierencharakteristik. Ich finde es doch sehr albern, hier Spezialmikrofone ins Gespräch zu bringen.
Wenn er Probleme mit allzulauten Raumgeräuschen hat, zu denen dann wohl auch die Stimme des sprechenden Gastes im Studio gehört, dann bediene er sich bitte je eines Expanders oder, wenn es sich denn einigermaßen "erweichen" lässt, je eines Gates in den Mic-Lines, bevor er komprimiert.
Dynamikbearbeitende Geräte besitzen ist sicher geil, noch geiler ist ist es aber, wenn man weiss, wie sie funktionieren und wie man sich diese Funktionen im Studio am besten zunutze macht.
Ich geh' auch nich mit einem Hobel an einen Holzklotz, wenn ich ihn größer haben will.