AW: Soundprocessing - JA oder NEIN? Wenn nein, dann wie?
Na, wenn ich schon gerufen werde...
So eindeutig Kontra bin ich gar nicht, auch wenns vielleicht oft so vorkommen mag. Die Fakten sind doch bereits genannt und wohl sicher jedem völlig klar: die seit der CD (oder auch schon dem Tonband) mögliche Dynamik läßt sich nicht auf UKW übertragen, auf AM schon gar nicht. Und selbst, wenn man die bei gutem UKW-Empfang möglichen vielleicht 70 dB Dynamik ausreizen will, stößt man auf Probleme bei einem großen Teil der Hörerschaft: Autofahrer, das Radio in der Pommesbude oder auf der Baustelle, ...
Die Dynamik muß für diese Zielgruppe sinnvoll eingeschränkt werden. Problem beim Rundfunk halt: alle sind betroffen. Der Autofahrer atmet auf, der Wohnzimmerhörer dreht vielleicht schon entsetzt weiter. Der Kompromiß ist eine Kunst, oft funktioniert er nicht. An dieser Stelle finde ich den Ansatz, via UKW Processing zu nutzen und auf dem Sat- oder DVB-T-Weg, wo ausschließlich "Wohnzimmerhörer" versorgt werden, ein unbearbeitetes Signal zu übertragen, sehr interessant. Nur: wer kann sich diesen Luxus leisten?
Um allzusehr störende Lautheitsunterschiede für z.B. mobilen Empfang auszugleichen, bedarf es aber nicht des Typs Processing, das meist verwendet wird. Man kann Dynamik bearbeiten, ohne daß es zu gravierenden klanglichen Verfärbungen kommt oder das Signal entstellt wird. Genau das ist aber häufig der Fall und wird oft sogar angestrebt. Wenn es verzerrt, pumpt, grell oder dumpf klingt, wenn sich der klangliche Eindruck komplett ändert, wenn leise Stellen lauter werden als laute (!), dann ist man am Ziel vorbeigeschossen. Es geht halt auch anders: der DLF nutzt auf UKW auch eine Dynamikbearbeitung. Merkt man das, wenn man nur flüchtig hinhört?
Und selbst Processing der Kategorie "brutal" und "wir wollen sehr wohl, daß der Effekt hörbar ist", kann zumindest mir gefallen. Beispiel: 1Live via Satellit. Halte ich bei diesem Programm sehr wohl für passend und angemessen. Den DLF möchte ich hingegen niemals so hören wollen. Und schon sind wir im weiten Feld der subjektiven Wahrnehmung...
Also, wie sollte Processing verwendet werden? Hier meine (!) Gedanken.
1.
Sauber konzipiertes Studio. Wenn Telefonleitungen bereits ein geeignetes Processing erfahren, das auf die Eigenschaften einer solchen Verbindung Rücksicht nimmt, ist bereits eine Menge getan. Wenn die Akustik des Studios bedacht wurde, braucht man kein nervendes Gate im Mikrofonkanal und muß vielleicht auch nicht mit Headset oder Nahbesprechungsmikrofon arbeiten, um ohne störenden Raumklang moderieren zu können. Nahbesprechung klingt oft aufdringlich. Fehlt jegliche Dynamik in der Moderatorenstimme, bekommt das schnell die Anmutung von Werbespots.
2.
Sensibel werden, fahren lernen. Am Pult selbst hat man großen Einfluß über die empfundene Lautheit und das sich einstellende akustische Gesamtbild. Wenn ich vorher weiß, wie die nächsten Programmelemente klingen und welche Dynamik sie haben, kann ich mich darauf einstellen. Wenn ich weiß, daß Spitzenpegel und Lautheit nichts miteinander zu tun haben, kann ich sehr wohl Huff & Herb mit "Feeling good" 6 dB unter "voll" fahren, weils eh ein Brikett ist. Wenn ich weiß, wie die hauseigene Gerätekette reagiert, kann ich den leisen Anrufer möglicherweise derbe in die Kompression jagen und gewinne dabei Verständlichkeit, statt mir Verzerrungen einzuhandeln.
Punkt 2 beinhaltet leider viele kaum oder nur schwer realisierbare Dinge: in Fragen von Akustik, Ästhetik, Tontechnik ausgebildete Moderatoren. Vorbereitete (!) Moderatoren. Souveräne Moderatoren, die noch Zeit haben, während ihrer Sendung auf all das zu achten. Im Popfunk wohl kaum realisierbar, mit 18-jährigen "mikrogeilen Radioboys"[tm] sicher noch weniger. Und gar nicht, wenn die Technik-Abteilung irgendwo weit weg sitzt, auf einen anderen Namen hört und bei Problemen bestellt werden muß, was freilich Geld kostet, das der PD gerne anderswo ausgegeben hätte.
3.
Dran denken: wenn ich die Dynamik sinnvoll einschränken will, brauche ich dazu weder Verzerrungen noch deutliche klangliche Veränderungen.
4.
Wenn ich Processing als Effekt einsetzen will: paßt das zum Programm und seiner Zielgruppe? "Partyradio Ballermann" könnte profitieren (den Holländischen Piraten nehme ich ihr Processing nicht übel, hehe...), dem DLF würde ich es sehr wohl übelnehmen. Irgendwo zwischen diesen beiden Extremen dürfte jeder Sender angesiedelt sein.
5.
Wenn es zerrt, pumpt, beim Hören ermüdet oder aggressiv macht, ist irgendwas schiefgelaufen. Dann einfach "bißchen am Processing herumzudrehen", führt selten zu einer Verbesserung. Ich kenne inzwischen Fälle, wo man glattweg den Optimod gegen einen neueren Typs ersetzt hat, weil das Klangbild unbefriedigend war. Dabei vergaß man, daß der alte Optimod in anderen Installationen sehr wohl seit Jahren halbwegs anständige Ergebnisse bringt und alles nur eine Frage der Einstellung ist. Oft stimmt das gesamte Konzept nicht und erfordert grundlegende Änderungen. Oder zumindest, daß man bereit ist, das Problem einmal ganzheitlich zu betrachten.