Offenbar lebt man beim DRadio in einem Paralleluniversum.
Jena, um beim konkreten Beispiel zu bleiben, hat über 100.000 EinwohnerInnen auf engstem Raum und eine extrem hohe AkademikerInnen-Quote. Die umgebenden Großsender sind durch die Topologie abgeschirmt und teils zusätzlich durch Ortsfrequenzen oder sogar durch zwei sich in die Quere kommende D-Radio-Großsender (97,0 DLF Geyer, 97,2 DKU Inselsberg) gestört. Helgoland hat um die 1300 reguläre EinwohnerInnen und eine völlig andere Infrastruktur / Siedlungsstruktur.
Mit meiner Jenaer Freundin hatte ich heute Nacht Kontakt via SMS. Sie ist gerade mit ihrer Familie im Urlaub, kann also die Alternativfrequenzen nicht auf Verwendbarkeit prüfen. Sie war aber ja vorab durch mich informiert und spontan in einer von mir bei ihr nicht gekannten Heftigkeit empört (ich kenne keine liebevollere Person als sie, aber sie "zündete" angesichts meiner Mitteilung regelrecht durch). Heute Nacht meldete ich ihr Vollzug der Abschaltung, sie erwiderte, dass das "eine Schande" sei.
Sie empfindet da genauso wie ich: es ist ein Affront gegenüber denjenigen, die noch aktiv und bewusst auf dem Boden von Grundgesetz, Zivilgesellschaft, Kausalität und Realität stehen. Wichtig: der vermeintliche Umkehrschluss, dass alle, die keinen DLF hören, das nicht wären, ist freilich
nicht zulässig. Es ist aber schon auffällig, wo zuerst eingeschränkt wird: bei der Verbreitung des Notwendigen. Das "Überflüssige" hingegen wird sogar noch mehr gefördert.
Aber das ist bekanntlich (fast) so alt wie das Radio, siehe Arnold Schönberg (der mit der Zwölftonmusik) am 22.3.1931 in einem Vortrag:
Anhang anzeigen Arnold Schoenberg - Auch die notwendigen Dinge verbreiten 22-03-1931.mp3
Das stammt aus einem Vortrag, der in voller Länge beim Arnold-Schönberg-Center Wien nachgehört werden kann:
Witzigerweise kenne ich diesen Ausschnitt aus einer Collage, die DS Kultur (ja, die aus Block A in der Nalpastraße) irgendwann 1993 unter dem Titel "Rufer in der Wüste" gesendet hat.
Wenn sich kein DLF-Empfang über Ochsenkopf oder Geyer mehr herstellen lässt mit der Anlage dieser Freundin, wird es nach dem, wie es jetzt aussieht, bei ihr darauf hinauslaufen, dass sie auf das lineare Programm verzichtet und manches in Magerbitrate mit dem Handy nachhört über ihr Mobilvolumen. Also deutlicher zeitlicher Mehraufwand und Okkupation von Mobilvolumen für etwas, das bisher "aus der Luft" ging.
Damit hat der DLF jemand aus dem von Herrn Raue als "sehr treues Publikum", das das Programm "sehr schätzt", bezeichneten Umfeld verloren. Der Ausstieg aus der DVB-Kabelverbreitung wird da weitere "Ausschlüsse" bringen, nicht aber im Fall meiner Jenaer Freundin: als fernsehfreie Familie ohne Radio-Freak-Ambitionen haben sie nie den Kabelanschluss gebucht.
Ihre Anlage umzubauen ist technisch nicht möglich. Ich fand inzwischen zwar den Schaltplan mit komplettem Service Manual im Netz, aber da ist nichts zu machen. Das UKW-Modul arbeitet mit digitaler Signalverarbeitung und gibt einen seriellen Datenstrom mit den Audiodaten an die CPU weiter. Dort kann ich also nicht eingreifen, den Signalweg "aufschneiden" und einen externen Line-In einfügen.
Irrerweise hat der UKW-Chip analoge Aux-In, die in einer anderen Anlage von Panasonic als genau solche verwendet werden: externer Eingang, wird im UKW-Chip entgegengenommen, digitalisiert und dann weitergeleitet an die CPU. In ihrer Anlage ist diese Funktion nicht gegeben, die beiden Eingänge sind auf Masse gezogen und totgelegt. Soweit im Platinenlayout erkennbar wäre da auch leichtes Rankommen ohne Skalpell - es sind 0-Ohm-Widerstande als Brücke zwischen AGND und den beiden Audio-Inputs eingelötet, die man freilich leicht entfernen könnte. Aber dann bräuchte man eine angepasste Anlagenfirmware, die diesen Eingang initialisieren und ansteuern kann. Und die gibt es freilich nicht.
Auch ein Eingriff zwischen CPU und Leistungsverstärker ist nicht möglich - es ist ein integriertes Konzept ohne Einschleifmöglichkeit an dieser Stelle.
Bliebe der Weg, über Bluetooth reinzugehen von einem externen DAB-Gerät. Eventuell verwendbare Bluetooth-Transmitter fangen bei 50 EUR aufwärts an - das ist nicht wirtschaftlich realisierbar und ob es überhaupt funktioniert, ist unklar. Zusammen mit einem DAB-Adapter wäre man wieder bei 100 EUR aufwärts. Und noch ein Steckernetzteil mehr.
Es müsste also, da auch WLAN (via altes Smartphone und Bluetooth weitergegeben) am Hör-Ort nicht verfübar ist, ein komplett neues DAB-Gerät mit eigenen Lautsprechern aufgestellt werden - und zwar zusätzlich, denn die vorhandene Anlage wird für CD noch benötigt. Auch das ist nicht praktikabel.
Was die Krisenfestigkeit von DAB betrifft, wie schon geschrieben: schon der Ausfall von GPS ruiniert die Gleichwellennetze und führt nach 12 bis 24 Stunden (das sind die an die technische Realität angepassten, aber dann halt doch menschlich "willkürlich" festgelegten Vorgaben der Sendernetzbetreiber) "Freilauf" mit entsprechender zeitlicher Drift zum Abschalten des Senders. Ist die sogenannte "Guard Time" aufgebraucht und keine Zeitsynchronisation möglich, wars das.
Die zentrale Mux-Bereitstellung (alle Services müssen an einem Punkt zusammengeführt werden und werden von dort als Mux verteilt) ist für mich ein weiterer riskanter Punkt im System "DAB". Und sowas wie "wir nehmen uns nen Ü-Wagen und fahren zu unserem UKW-Hauptsender in der Metropolenregion und speisen dort direkt ein Notprogramm ein" (sowas ist passiert und sowas wurde in Erwägung gezogen in Havariesituationen) kann man sich beim kleinzelligen, Mux-basierten DAB+ gleich abschminken.
DAB-Radios, die "aufgeweckt" werden für eine Notfalldurchsage, sind aber ganzzeitig in einem Zustand weit oberhalb eines funktionslosen Standby, letztlich sind sie voll aktiv außer Display und Audioausgabe. Und ziehen damit auch entsprechend Leistung / Energie aus dem Netz oder aus der Batterie, die entsprechend schneller leer läuft, womit sich diese Funktion bei batteriebetriebenen Geräten verbietet.
Im übrigen kann man bei UKW mit PTY 31 auch "auf Lauer" liegende UKW-RDS-Geräte aktiv schalten, was letztlich nur das Aufheben einer Stummschaltung wäre bei einem gerät, das das entsprechende Programm bereits empfängt. Ein Retuning ist damit soweit mir bekannt nicht möglich, da gibt es tatsächlich einen theoretischen Vorteil von DAB+. Aber das "Aufwecken" funktioniert über RDS PTY 31 genauso wie bei DAB+ und ein entsprechend vorbereitetes Gerät vorausgesetzt kann hier die "analoge" Technologie (UKW) mit Hilfe der digitalen Datenströme von RDS fast das gleiche wie DAB+.
Meine Prognose: die UKW-Abschaltung wird das DRadio Quote kosten. Sie werden Menschen verlieren, die nicht bereit sind, jeden willkürlich verordneten Aufwand mitzugehen. Es sind einfach inzwischen zu viele Widrigkeiten, die man Menschen, die "Spielerei" nicht als wichtigstes im Leben betrachten, in den Weg legt in diesem Land (nicht nur auf das DRadio bezogen, sondern ganz allgemein). Irgendwann ist der Vorrat an Gutmütigkeit aufgebraucht und Verzicht der im Leben leichtere Weg. Damit geht natürlich verringerte gesellschaftliche Teilhabe einher. Man darf nicht immer jammern, dass man Menschen "abhängen" würde, man muss auch schauen, wie es dazu kommt. Irgendwann ists halt überreizt.
Ist bei mir genauso, in jeglicher Hinsicht: wer mich nur mit Whatsapp erreichen will, erreicht mich halt nicht. Wer mich im Schwimmbad mit Dudelradio beschmutzen will, verliert mich als zahlenden Gast. Wer mir mit Rassismus, Realitätsleugnung, Naturgesetzleugnung oder ähnlichem kommt, wird entfreundet - auch innerhalb des eigenen familiären Umfeldes. Wer in den Kleinanzeigen nur Datenschutz-Katastrophen als Bezahlart anbietet, bekommt das angebotene Produkt von mir nicht abgekauft. Wollte vor 2 1/2 Monaten jemandem was abkaufen. Wirklich gerne abkaufen. Mit Vorkasse, also Risiko meinerseits. Er bot aber nur Klarna und Kreditkarte über den Käuferschutz. Na dann eben nicht. Er hat sein Zeugs heute noch nicht verkauft bekommen. Selbst schuld.
Ob sich am Ende die Kostenbilanz "UKW eingespart, dafür mehr Stream-Abrufe" dividiert durch die Einschaltquote für das DRadio positiv rechnen wird, vermag ich nicht zu sagen.