Ansichten eines Soundprocessing-Beraters, Teil 1
Bei meinen Recherchen zur R.128 bin ich kürzlich erst auf dieses bemerkenswerte
Pamphlet gestoßen, welches vor einem Jahr schon in einem
VDT-Magazin erschienen ist und von einem Tonmeister
dort empfohlen wird. Dass es auf
jener Website gehostet wird, erweckt den Anschein einer Interessengemeinschaft, die der R.128 nicht sehr wohlwollend gegenüber steht. Nun, jeder sollte seine Meinung äußern. Besondere Objektivität und Sachlichkeit muss aber von Personen in Lehreinrichtungen erwartet werden können.
In Anbetracht des Einflusses des selbsternannten “Soundprocessing-Beraters” im
ÖR und an der
Medienakademie schreit sein Pamphlet mit Ungenauigkeiten und Verdrehungen geradezu nach kritischer Kommentierung. Ich habe im Folgenden diese Mühe nicht gescheut.
Endlich, die Erlösung scheint nahe, die EBU hat uns Radiomachern eine Lautheitsrichtlinie geschenkt.
Die Zeit gnadenloser Kompression schein gezählt, das Dynamikweltbild wieder zurechtgerückt.
Schon in der süffisanten Einleitung lässt der
Autor sein Ansinnen unverhohlen erkennen. Nach meinem Kenntnisstand hat die neue EBU-Richlinie R.128 nie den Anspruch erhoben
alle Probleme der Tontechnik zu lösen, wie in dem Artikel
suggeriert wird. In erster Linie soll sie dafür sorgen, dass zur Loudness-
Maximierung “gentechnisch” totkomprimierte Produktionen, die meist sinnlos Systemdynamik verschwenden, nicht auch noch im Vordergrund brüllen, während dahinter das natürliche Angebot untergeht. Der
Kahlschlag soll und könnte damit verhindert werden!
Es liegt wohl in der Natur von „Soundprocessing-Spezialisten“ an allen Knöpfen drehen zu wollen (besonders wenn sich das auch noch finanziell lohnt). Der Autor liegt nicht falsch mit der Argumentation, dass “gleiche Lautheit“ nicht „gleiche Sprachverständlichkeit“ bedeutet. Unbestritten ist auch, dass die Möglichkeiten des Soundprocessings als Gestaltungmittel in der (Live-) Produktion nützlich eingesetzt werden können um z.B. schlechte O-Töne und Telefongespräche etc. verständlich aufzupolieren. Das waren aber schon immer grundlegende Problematiken für gezielte Anwendungen. Ebenfalls unbestritten dürfte sein, dass das Spielen mit den Gestaltungsmitteln dem Erwerb wertvoller Erfahrungen im Umgang damit dienen kann.
Es ergeben sich Fragen: Muss alles rücksichtslos umgesetzt werden was technisch möglich ist? Kann man nicht bewährte, funktionierende Bereiche einfach nur bewahren? Womöglich an den Haaren herbeigezogene Rechtfertigungen müssen hinterfragt werden. Behauptungen sind sachlich zu belegen und dürfen nicht
nebulösen „Optimierungs“-ansprüchen geopfert werden. Hier gehört der Autor in die Pflicht genommen.
Einen Teil seines Wissens bezog er vermutlich aus oberflächlich angelesenen Fachartikeln, die er nun locker in einer gewissen Selbstüberschätzung nach eigenem Gutdünken interpretiert, was aber nicht immer den Tatsachen entspricht. Das scheint ihn indes nicht stören, Hauptsache unterhaltsam.
Nachdem mit der Loudnessmaximierung im Radio keine Lorbeeren mehr zu verdienen sind weil es jeder so macht, hat sich der Soundprocessing-Berater offenbar einen neuen Mythos zur Rechtfertigung gestrickt, an allen “Geschmacksschrauben” in der Tonübertragungskette drehen zu müssen. Dabei wird der Begriff “Maximierung” erst mal lieber plakativ durch “
Optimierung” ersetzt. Hinter diesem blumig-diffusen Begriff kann sich nun aber alles verbergen und es besteht seitens des Autors offenbar auch ein Bedürfnis diese „Optimierungen“ esotherisch zu verklären. Möglicherweise ein wirksames Geschäftsmodell.
Auffallend ist, dass der Autor von Anfang an zielstrebig versucht die Sinnhaftigkeit der EBU-Richtlinie R.128 zu untergraben und stattdessen seinen „Optimierungs“-Hype in den Vordergrund zu schieben. Ständige Hinweise auf Vorzüge von nebulös gehaltenen wie-auch-immer-“Optimierungen” und deren Notwendigkeiten für alle Tonbereiche und Sendeketten ziehen sich durch den gesamten Artikel. Referenzen für die Richtigkeit oder Sinnhaftigkeit dieser Behauptungen fehlen. Dabei werden auch mal falsche Zusammenhänge hergestellt, “idealer Klang” in einem “homöopathisch” ganzheitlichen Konzept vom blauen Himmel herunter versprochen und gleichzeitig Rücksicht auf 9-Euro-Chinesenradios genommen.
Es wird auch nicht vergessen die Gespenster des „Massenmarktes“, des “Reichweiten”- und Hörer-Verlusts aufgrund von verlorenem “
Signal-Rauschabstand” und der Vielen-Hunderttausend-Euro-Investitionen für R.128. aufzufahren, ohne dass die Kosten seines „Optimierungs“-Hypes zur Sprache kommen. Aber nicht ein Hinweis auf die
ständigen Verzerrungen durch permanent dynamisches Verbiegen und Verdichten bei sog. „Optimierungs“-Prozessen“ mit fragwürdiger Notwendigkeit.
Gegen Ende nochmal Autor’s Eiertanz zwischen Nützlichkeit und Unfähigkeit der R.128:
Automatisation im Pool bietet ein weites Optimierungspotential und damit einen sinnvollen Einsatz der EBU-Lautheit. Ob es zu mehr reicht, muss die Praxis zeigen.
mit einem
inkompetenten Vergleich:
Wobei angemerkt sein darf, dass diese Taktik die Lautheitspropleme der Übergänge in einer Sendung ebenso gut oder so schlecht ausgleicht wie das Aussteuern nach heutigen Pegelmetern ...
wobei mit „heutigen Pegelmetern“ selbstredend das neuzeitliche
True Peak Meter gemeint ist, welches sich in der Wirkung völlig konträr zum Lautstärkemesser verhält und eine
uralte Fehlinterpretation wieder aufwärmt (siehe auch
post #16).
Mein Resümee
Den gesamten Artikel empfinde ich als penetrantes Werbeprospekt der Firma „XXX-Media“ zur Durchsetzung eines bewusst diffus gehaltenen „Optimierungs“-Hypes für „alle Bereiche der Tontechnik“, sozusagen als Konkurenz zur EBU R.128, mit „If-you-can't-beat-them,-join-them“-Charakter. Kein Zweifel, der Autor hat die eierlegende Wollmilchsau namens „Optimierung“ zur Lösung aller Tonprobleme im Gepäck.
Spekulationen über die Gründe für die „Optimierungs“-Forcierungen des Autors lassen nicht viel Spielraum. Er arbeitet im ÖR und betreibt mit einem Geschäftspartner eine
Beratungsfirma, die im ÖR ein großes Potential sieht. Das alleine wäre kein Grund ihn misstrauisch zu beäugen. Wenn diese „Optimierungs“-Hypes aber zu Lasten der gebührenzahlenden Hörer gehen ist Aufklärung angesagt, damit die Betroffenen ggf. dem neuen „
Optimierungswahnsinn“ die Stirn bieten können. Ich unterstelle hier Privatinteressen gegen Allgemeininteressen, gegen eine eher allgemeinverträgliche Richtlinie mit klaren Vorgaben.
Gerecht wäre eine Hörerumfrage nach ausführlicher sachlicher Information. Da ich aber die Illusion, dass das geschehen könnte nicht habe, plädiere ich für eine Verordnung zur Einführung der R.128 im allgemeinen Interesse.
TB.
P.S.:
Ehrlich g'sagt, ich fühl' mich von dem Dampfplauderer “net nur ä bissle verarscht”. Auch wenn der Kommentar von einem Nobody kommt, vielleicht kann er doch als Anregung für den einen oder anderen Kritiker dienen.